Von der Weide…
Was bedeutet Bio-Weidehaltung?
Für uns im Projekt bedeutet Bio-Weidehaltung die Haltung der Tiere auf einer Weide, wann immer die Witterung es zulässt. Grob ist dies in der Vegetationsperiode zwischen April bis November möglich, also immer dann, wenn die Tiere sich von dem verfügbaren Futter auf der Weide ernähren können. Je nach Standort und Witterungsbedingung kann auch Kraftfutter (meist hofeigenes Getreide) zugefüttert werden. Durch die Bio-Zertifizierung der landwirtschaftlichen Betriebe wird sichergestellt, dass die Tiere artgerecht gehalten und gefüttert werden, die Weiden frei von chemisch-synthetischen Düngern und Pestiziden sind und die Transportwege so kurz wie möglich gehalten werden.
Stehen die Tiere auch im Stall?
Je nach Jahreszeit sind die Bio-Landwirte gesetzlich verpflichtet, ihren Tieren einen Stall oder Unterstand anzubieten. Daher stehen die Rinder im Winter ggf. im Stall, haben jedoch Zugang zu Auslauf oder einer kleinen Weide. Kurz vor der Schlachtung können einzelne Tiere ebenfalls für bis zu 3 Monate in den Stall mit Auslauf geholt werden. Hierbei werden einzelne Tieren noch gezielt angefüttert, um eine bessere Fleischqualität zu erzielen.
Was bedeutet Bio innerhalb des Projektes GanzTierStark?
Alle Tiere werden nach Bioverbands-Richtlinien gehalten, das bedeutet unter anderem, dass die Haltung flächengebunden erfolgt und nicht mehr Tiere gehalten werden, als der Biohof mit Futtermitteln von seinen Flächen ernähren kann. Eine artgerechte Haltung setzt ebenfalls artgerechtes Futter voraus.
Die Bio-Rinder aus Weidehaltung fressen daher während der Vegetationsperiode hauptsächlich Gräser und Kräuter auf der Weide. Auf den Weiden werden kein künstlicher Dünger und keine chemisch-synthetischen Pestizide eingesetzt. Außerdem gibt es im Bereich der Bio-Rinderhaltung keinen vorsorgenden Einsatz von Antibiotika.
In der konventionellen Rindermast stehen Rinder nach den ersten Lebensmonaten eher selten auf der Weide, sondern werden das ganze Jahr in Ställen gehalten und mit Kraftfutter, häufig von weit entfernten Flächen, gemästet.
Bleiben die Kälber bei der Mutter?
Ja, alle Kälber bleiben von Geburt bis zum Weideabtrieb im Spätherbst bei ihrer Mutter auf der Weide, was ihrem natürlichen Verhalten als Herdentieren entspricht. Danach werden sie als sogenannte Absetzer zur weiteren Haltung in separaten Gruppen gehalten. Ein Grund für die Trennung nach 7-9 Monaten ist, dass nach dem Weideabtrieb im Herbst die Herden gut sortiert werden können. Auch soll das Euter der Mutterkuh für die bevorstehende Geburt des nächsten Kalbes geschont werden.
Haben die Tiere Hörner?
Je nach Rinderrasse haben die Tiere Hörner. Eine Entfernung der Hörner ist nach den Richtlinien der Bio-Anbauverbände verboten und findet nicht statt. Einige Fleischrinderrassen sind genetisch hornlos, wie zum Beispiel Angus oder das Uckermärker Rind. In der konventionellen Rinderhaltung werden die Hörner oft entfernt, um Verletzungen der Tiere bei Kämpfen zu vermeiden, die Arbeitssicherheit des Personals vermeintlich zu erhöhen und um mehr Tiere auf einer begrenzten Fläche unterbringen zu können.
In welchem Alter werden die Tiere geschlachtet?
Das Schlachtalter der Tiere liegt zwischen 24 bis 36 Monaten. Geschlachtet werden sowohl die männlichen Tiere (Ochsen und z.T. auch Jungbullen) als auch weibliche Tiere (Färsen und Kühe). Kühe sind im Vergleich deutlich älter und werden bis zu 16 Jahre alt. In der konventionellen Intensivmast werden die Tiere mit Kraftfutter wesentlich schneller auf das gewünschte Schlachtgewicht gebracht und bereits im Alter von 16-20 Monaten geschlachtet.
Wie lang sind die Transportwege für die lebenden Tiere?
Das hängt wesentlich von den Standorten des jeweiligen Liefer- und Verarbeitungsbetriebs ab. Bei führenden Bioverbänden wie Naturland oder Bioland gilt eine maximale Transportdauer von 4 Stunden. In der Region Berlin-Brandenburg – wie in vielen ländlichen Regionen Deutschlands – ist die Anzahl an Schlachtbetrieben in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen, was die Gewährleistung kurzer Transporte teilweise erschwert. Neben der Transportzeit für die lebenden Tiere ist vor allem ein ruhiges Verladen für die Rinder wichtig, damit sie möglichst stressfrei beim Schlachter ankommen.
…auf den Teller
Was bedeutet Regionalität innerhalb des Projekts GanzTierStark?
Regionalität spielt im Projekt GanzTierStark eine wesentliche Rolle.
Der Begriff “regional” ist rechtlich nicht geschützt oder einheitlich definiert. Deshalb haben wir im Team eine klare Festlegung getroffen, welche den Anforderungen von Landwirtschaft und Verarbeitung sowie den Vorstellungen der Kantinenbetreiber*innen und Tischgästen entspricht. Nach vielen Abwägungen haben wir in Rücksprache mit unseren Praxispartnern folgende Definition für das Projekt GanzTierStark festgelegt:
„Aufzucht und Schlachtung der Bio-Weiderinder, sowie die Verarbeitung des Bio-Rindfleisches, finden im Umkreis von 200 km um den Berliner Funkturm und innerhalb der Landesgrenzen der Bundesrepublik statt.”
Oder kürzer: „Aufzucht, Schlachtung und Verarbeitung der Bio-Weiderinder finden im Umkreis von 200 km um den Berliner Funkturm und innerhalb der Landesgrenzen der Bundesrepublik statt.”
Ist es möglich nachzuvollziehen, von welchem Hof das Fleisch stammt?
Über die Kennzeichnung des Fleisches ist eine Rückverfolgung von den Kantinen über die Verarbeitung bis zur Zerlegung der ganzen Schlachtkörper möglich. Sofern an einem Schlachttag mehrere landwirtschaftliche Betriebe Tiere geliefert haben, kann angegeben werden, aus welchem Pool an Lieferanten die Tiere kamen. Wenn am Schlachttag alle Tiere von einem einzigen Betrieb geliefert wurden, kann die Partie einem einzigen Betrieb zugeordnet werden.
Wie unterscheidet sich das (Bio-)Rindfleisch von der Weide von Rindfleisch aus anderen Haltungsformen?
Es gibt sowohl einen Unterschied in der Haltungsform als auch in der damit verbundenen Qualität des Fleisches. Dies wurde ebenfalls von den Kooperationspartnern aus der Praxis und deren Köchen und Köchinnen im Projekt GanzTierStark bestätigt. Dazu gehören ein niedrigerer Garverlust beim Braten (das heißt, das Fleisch schrumpft z.B. weniger in der Pfanne), ein besserer, intensiverer Geschmack und die feinere Struktur des Fleisches durch das langsamere Wachstum der Rinder auf der Weide. Außerdem geht die im Projekt GanzTierStark definierte Weidehaltung über die Regelungen der Bio-Anbauverbände hinaus, da alle Tiere so lange wie möglich auf der Weide gehalten werden müssen. Dadurch ist ein Maximum an Tierwohl und artgerechter Haltung gewährleistet.
Kann man den Unterschied auch schmecken?
Manche Verbraucher*innen sagen eindeutig ja, wissenschaftlich belegen kann man dies allerdings nicht. Wahrnehmbar und nachweisbar ist bei Rindern, die viel Zeit auf der Weide verbracht haben, eine gelblichere Färbung des Fettes. Dies liegt an dem aufgenommenen Karotin aus dem Weideaufwuchs. Dass man die andere Haltungsform ganz praktisch schmecken kann, wurde von den kooperierenden Köchen und Köchinnen im Projekt GanzTierStark bestätigt.
Warum ist das Bio-Weiderindfleisch teurer?
Im Vergleich zur konventionellen Rindermast in Ställen fallen bei Weidehaltung nach Bio-Kriterien wesentlich höhere Kosten an. Beispielsweise ist die Futtererzeugung für den Betrieb teurer, als wenn auf derselben Fläche Ackerfrüchte erzeugt würden, und den Tieren muss mehr Fläche zur Verfügung stehen. Gleichzeitig sind die Erlöse geringer, da die Tiere langsamer an Gewicht zunehmen und dadurch später geschlachtet werden. Dies spiegelt sich im Preis wider. Die positiven Aspekte für Tier, Klima, Konsument*in und Gesellschaft bildet der Preis bisher leider nicht ab.
Was bedeutet Ganztierverwertung im Projekt?
Damit in der Region eine höhere Anzahl von Rindern aus Bio-Weidehaltung vermarktet werden kann, ist es wichtig, dass alle Teile des Rinds verwertet werden. Häufig konzentriert sich das Interesse der Kunden (Privatkunden aber auch Gastronomie) auf die Edelteile, wie das Filet, während z.B. Innereien weniger guten Absatz finden. Im Projekt sorgt bisher der Verarbeiter (eine regionale handwerkliche Fleischerei) für die In-Wert-Setzung des ganzen Tieres, indem er die gewünschten Teilstücke an die Kantinen liefert und die anderen über weitere Vermarktungskanäle (z.B. Bio-Supermärkte) vertreibt. Im Lauf des Projekts wird angestrebt, dass die Kantinen eine größere Bandbreite an Teilstücken verwerten, als dies bisher der Fall ist, indem sie neue Rezepte erproben und z.B. Soßen und Brühen aus Knochen selber herstellen, anstatt sie vorgefertigt zuzukaufen. Im Bundesgebiet gibt es einige Vorzeigekantinen, die das gesamte Rind verwerten, von denen diesbezüglich gelernt werden kann. Wie weit die einzelnen Küchen gehen können, ist abhängig von der Experimentierfreude der Küchenmitarbeiter*innen, den Vorlieben der Tischgäste, aber auch den Preisen, die erzielt werden können.
Schadet Rindfleischkonsum nicht dem Klima?
Weidehaltung ist für Rinder das natürlichste Haltungsverfahren. Sie ist also wesensgerecht. Für die Konsument*innen hat Weidehaltung den Vorteil, dass durch die natürliche Ernährung der Rinder ein naturnahes Produkt entsteht. Diese Art der Haltung ist somit klimafreundlicher als andere Haltungssysteme, bei denen die Rinder überwiegend mit Kraftfutter, wie zum Beispiel Soja aus Südamerika, gefüttert werden. Zusätzlich kann durch Weidehaltung unter bestimmten Voraussetzungen mehr CO2 im Boden der Weide gespeichert werden, als es auf der gleichen Fläche mit Ackerbau und sogar Bewaldung möglich wäre.
Dies wird durch den ständigen Wachstumsreiz ausgelöst, dem die Pflanzen durch die Beweidung ausgesetzt sind: Die Pflanze wandelt durch das voranschreitende Wurzelwachstum Kohlenstoff aus der Luft zu Biomasse im Bodenkörper um. Dadurch kann die Bio-Weidehaltung von Rindern klimapositiv sein. Hinzu kommen Vorteile für die Biodiversität durch die Beweidung sowie der Erhalt der reizvollen Brandenburger Kulturlandschaft.
Aus Sicht des Klimaschutzes besteht der Vorteil des Weiteren darin, dass Rinder aus diesem Haltungsverfahren durch die Fütterung mit Gräsern und Kräutern nicht in Nahrungsmittel-Konkurrenz zur menschlichen Ernährung stehen. Dies ist besonders bedeutend, wenn die Gräser und Kräuter von Dauergrünlandflächen stammen, da diese nicht mehr zu Ackerflächen umgewandelt werden dürfen.
Ist es nicht besser, Schwein, Geflügel oder gar kein Fleisch zu essen?
Klar ist, dass der durchschnittliche aktuelle Fleischkonsum in Deutschland (und Europa allgemein) zu hoch ist, nicht nur wegen der hohen Relevanz für das Klima und die Biodiversität, sondern auch für die menschliche Gesundheit. Bei intensiver, nicht flächengebundener Tiermast ist Rindfleisch außerdem klimaschädlicher als der Konsum von Schweinefleisch oder Geflügel. Dies gilt, wie oben dargestellt, nicht im gleichen Ausmaß für Bio-Rindfleisch aus Weidehaltung, da durch die Beweidung von Grasland im Gegensatz zu anderen Nutzungsarten klimaschädlicher Kohlenstoff im Boden gebunden wird, bzw. zum Beispiel im Fall von Niedermoorstandorten, gespeichert bleibt. Das Projekt GanzTierStark möchte die Kantinen daher auf dem Weg begleiten, weniger aber dafür qualitativ hochwertiges, artgerecht erzeugtes und klimafreundlicheres Fleisch einzusetzen, das von den Gästen mit gutem Gewissen verzehrt werden kann.